Im Strudel der Transformation

Die FDP ist wie keine andere Partei dem Wandel der Gesellschaft ausgesetzt. Die Partei durchläuft eine liberale Transformation, die – geschickt angestellt – der Partei zur neuen (alten) Stärke verhelfen kann.

Drei Ideen, über die man durchaus nachdenken könnte, um sich als liberale Partei neu zu erfinden:

Weg mit den Parteiparolen

Als sich der Freisinn im Jahr 2009 mit den Radikalen (bestehend aus Progressiven und Radikalen) und mit den Liberalen zusammenschloss, war die Transformation der Partei noch nicht abgeschlossen. Es war der Startschuss zur Transformation. Diese ist auch nötig nach einem solchen Zusammenschluss.

Die Ideologien der Mitglieder sind ähnlich, aber nicht gleich. Die Unterschiede mögen für Aussenstehende fein sein, aber sie sind da.

… eine Kunst, die niemand kann

Als Partei kann man nicht allen Mitgliedern immer gerecht werden. Bei der Fassung einer Parole ist dies mit einem «Ja»- oder «Nein» schlicht nicht möglich. Statt zu versuchen, den unterschiedlichen Ideologien gerecht zu werden oder nur die stärkere Gruppe zu berücksichtigen, schlage ich folgendes vor: Weg mit den Parolen!

Parolen sind antik, veraltet und einer liberalen Partei unwürdig. Ich möchte dies an folgender Kuriosität erklären:

  • Die Delegierten der FDP Schweiz fassen eine Parole zu einer eidgenössischen Vorlage.
  • Die Delegierten einer Kantonalpartei fassen eine Gegenparole.

Wie kann eine Partei einmal Ja und einmal Nein sagen? Ticken liberale Menschen in einer Kantonalpartei anders als liberale Menschen über die ganze Schweiz?

Das freie Individuum

Als selbstständig denkender Mensch in einer Partei – einer Partei, die Bürokratie meiden will wie der Teufel das Weihwasser, zusammengesetzt aus Menschen mit ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Ideologen – wirkt es grotesk, Parolen wie anno dazumal zu verfassen. In Anbetracht dessen, dass es schwierig ist, für die Delegierten Räumlichkeiten zu finden und eine grosse Teilnehmerzahl nicht wirklich eine Diskussion zulässt: Parolen sind einfach nicht mehr zeitgemäss.

Die Welt ist komplex. Einfache Lösungen wären wünschenswert, sind aber meist Fiktion. Manche Vorlagen sind ein Flickwerk aus Ideologien und ein Kompromiss, den man gut oder schlecht finden kann.

Als Parteimitglied wäre ich gerne in einer Partei, die mich in meiner Ideologie, in meinem Grundsatz bestärkt und es zulässt, trotz Zugehörigkeit frei im Denken zu sein. Eine liberale Partei sollte mich im freien Denken und Handeln unterstützt. Ich brauche keine Bevormundung. Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich darf oder was ich nicht darf. Weder meine Eltern, Arbeitgeber, meine Frau, Lehrpersonen oder sonstige konnten je Einfluss ausüben, wie ich abzustimmen habe.

Gemeinsinn

Ich bin Mitglied in einer Partei, um mich mit anderen Parteimitgliedern auszutauschen. An einer Delegiertenversammlung, an der ich (überspitzt formuliert) – vergleichbar mit einem Gottesdienst – die «Predigt» des Präsidenten und später 2-3 Stunden Pro- und Kontravorträge inkl. Parolenabstimmung über mich ergehen lasse, kommt eines zu kurz: Der Gemeinsinn. Der Austausch mit Gleichgesinnten.

Wenn Sie mich fragen: für was steht eigentlich die Partei, dann würde ich Ihnen gerne folgendes als Antwort geben:

«Die Mitglieder der Partei denken seit jeher selbstständig. Die Partei verfasst daher keine Parolen mehr. Es gibt keinen Fraktionszwang wie in anderen Parteien. Die Partei stellt für Ihre Mitglieder jeweils ein kurzes und prägnantes Denkinstrument zur Verfügung, damit die Mitglieder sich selbst ein Bild machen können und einen freien Entscheid fällen können, wie sie abstimmen möchten. Wir sind stark im Austausch und generieren gemeinsam wirksame Ideen für eine bessere Zukunft.»

Das Denkinstrument

Dieses Denkinstrument müsste auf max. einer Folie folgendes für jede Vorlage zusammenfassen:

  • Wie liberal oder einschränkend ist die Lösung?
  • Die Pro und Kontras.
  • Die prognostizierten Kosten oder der Kostenrange der Vorlage.
  • Der erhoffte Nutzen der Vorlage.

Die Details stehen im Abstimmungsbüchlein.

Sie mögen denken, diese Lösungsvorschlag sei zu radikal, macht ja keine Partei.

Gegenfrage: Wer möchte nicht in einer Partei sein, die aus Mitglieder besteht, die selber denken können bzw. denen die Partei dies auch zutraut?

Krisenresistenter werden

Nicht nur in turbulenten Zeiten ist es ratsam, sich auf (vorhersehbare) Krisen vorzubereiten. Viele Unternehmer wissen dies.

Wer im Internet nach Skandalen, Eklats und Intrigen in der Politik sucht, wird fündig. Vor allem in Exekutiv-Ämtern richten Betroffene für die jeweilige Partei einen grossen Schaden an.

Leider ist es so, dass zum falschen Zeitpunkt ein Skandal auch Auswirkungen auf andere Städte und somit Wahlen hat. Komplett unverschuldet verliert man in einer Region Wähleranteile, weil die Medien den Skandal ins Gedächtnis der Wähler rufen.

Ich würde mir wünschen, dass die FDP krisenresistenter wird. Einerseits müssen die Spielregeln für Menschen unter der FDP-Fahne klar sein. Andererseits muss die Partei auch über Krisenpläne verfügen (Idealerweise mit einem Spezialisten vorbereitet).

Reorganisation

Ein Aspekt, der für viele etwas schmerzhaft sein mag: Die Partei muss diese Massnahmen auch über die ganze Schweiz durchsetzen können. Das bedeutet: Organisatorische Anpassungen innerhalb des Parteigeflechtes sind notwendig.

Sie mögen die Haltung vertreten, dass jede Sektion ein eigener Verein ist und für sich alleine steht. Das ist meistens in Ordnung.

In einer Krise muss die Partei schnell reagieren und Entscheide durchsetzen können, um den Schaden möglichst gering zu halten. Diese Spielregeln müssen für alle bereits vor der Krise klar sein.

Das Wohl aller ist wichtiger als der Schaden und die damit verbundene Wählererosionen. Davon hat die Partei nichts.

Denkzeit einplanen

«Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
eine Zeit zum Gebären / und eine Zeit zum Sterben, / eine Zeit zum Pflanzen / und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen,
[…]
eine Zeit zum Zerreissen / und eine Zeit zum Zusammennähen, / eine Zeit zum Schweigen / und eine Zeit zum Reden,
eine Zeit zum Lieben / und eine Zeit zum Hassen, / eine Zeit für den Krieg / und eine Zeit für den Frieden.»
Aus: Das Buch Kohelet, Kapitel 3

Als die abtretende Parteipräsidentin Petra Gössi im Februar 2019 über die Medien kommunizierte, dass sie die Klimadiskussion innerhalb der Partei anstossen möchte, fanden ein Monat später im Kanton Zürich die kantonalen Wahlen statt.

Was denken Sie: Wie glaubwürdig ist ein plötzlicher Richtungswechsel? Verunsichert dies Wähler? Wurde verstanden, was Frau Gössi genau wollte? Konnte die FDP im Kanton noch das Propaganda-Material auf den neuen Kurs anpassen?

Die Partei hat an den Wahlen einen Wähleranteil von –1.6% verloren, obwohl ihr ein Wachstum prognostiziert wurde.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Diskussion ist wichtig und die FDP muss liberale Lösungen vorschlagen, wenn sie sich von der Diskussion nicht treiben lassen will. Die bisher grünen «Lösungen» sind meist keine: Unnütze Verbote, Umerziehungen, Lenkungsabgaben, Umverteilungen, Einseitige, zum Teil irreversible Schwerpunktbildung etc. …

Viele Lösungsvorschläge, die ein ein liberales Herz nicht für gut befinden kann.

Denkzeit

Diskussionen sind wichtig. Wahlkampf findet mittlerweile permanent statt. Im Vierjahres-Wahl-Zyklus muss daher Zeit eingeplant werden, um neue Diskussionen zu führen. Idealerweise finden diese Diskussionen ca. zwei Jahre vor oder nach den Nationalratswahlen statt; dann ist es meist relativ ruhig. Präsidentenwechsel werden häufig in dieser Zeit eingeplant.

Richtungswechsel müssen den Mitgliedern kommuniziert werden. Es braucht Zeit, bis dies von allen verstanden wird und es braucht Zeit, bis dies den Wählern erklärt werden kann.

Daher ist eine bewusste «Denkzeit» und die Unterstützung durch Kommunikationsprofis sehr wichtig.

(Überlange) Umfragen an alle Mitglieder sind nett. Wichtiger als Umfragen wäre die direkte Diskussionen mit den Mitgliedern. Es benötigt Zeit, um konkrete und gute Ideen zu entwerfen. Gutes Storytelling braucht ebenfalls Zeit. Die Glaubwürdigkeit muss auch bei Schwerpunktwechsel stimmig sein und erhalten bleiben.

Schlussfolgerung

Die FDP hat grundsätzlich alles, um an Wähleranteil zuzulegen. Ein paar Strukturen sollten angepasst und überarbeitet werden. Dies steigert die Glaubwürdigkeit der Partei und verhilft ihr wieder zum alten Erfolg.

Schlanke und hilfreiche Strukturen vermeiden unnötige Grabenkämpfe. Die dadurch eingesparte Zeit und Energie kann für Diskussionen oder neue Ideen genutzt werden.

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There are 3 comments on this post
  1. Richard Heim
    Juli 21, 2021, 5:13 am

    Interessante Gedanken!
    ‚Faktor‘ Gössi kann ich nicht genau einschätzen-fand sie aber (Aussensicht) gut. Wie sagte sie doch ( glaube beim ‚Abschiedsinterv. Radio DRS), die FDP darf/soll sich nicht nur zu ‚Finanz-/Wirtschaftsaspekten‘ äussern.

    • Juli 21, 2021, 6:00 pm

      Guten Tag Herr Heim

      Besten Dank für Ihren Kommentar.

      Ich möchte im Beitrag nicht Frau Gössi als Person kritisieren.
      Es gibt viele Konzepte, wie man Wandel kommunizieren kann. Die meisten sehen recht ähnlich aus. Es ist wichtig, dass dies bewusst und geplant geschieht.

      Die FDP ist als Verein grösser als ein KMU und auch grösser, als mancher Konzern. So kommunizieren Firmen intern Z.B. nach einem solchen oder ähnlichen 7-Stufen-Plan, um Verunsicherungen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.

      Freundliche Grüsse
      Thomas Verasani

      • Richard Heim
        Juli 21, 2021, 6:48 pm

        Zu Frau P.Gössi:Ich habe Ihre Äusserungen (schon) nicht als Kritik an ihr selber aufgefasst.
        Besten Dank für Ihre rasche Antwort … und Ihre grundsätzlichen Gedanken ‚nehme ich gerne mit ‚ Beachtenswert sind sie allem!
        Alles Gute und beste Grüsse
        Richard Heim

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